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Freitag, 3. Juni 2016

PIERRE DRIEU LA ROCHELLE

Drieu La Rochelle

* 03.01.1893, in Paris
+ 15.03.1945, in Paris

Pierre Drieu la Rochelle war ein französischer Schriftsteller und Politaktivist mit wechselnden politischen Positionen, die aber fast immer radikal waren.
Wegen seiner begrenzten Kollaboration mit den deutschen Besatzer beging er während des Vorrückens der Westalliierten Selbstmord.


Pierre Eugène Drieu la Rochelle wurde im Jahre 1893 in Paris geboren. Er wuchs in einer bürgerlich-katholischen Welt auf, die nach der Niederlage im Krieg 1870/71 im Rahmen ihres Landes wieder auf die Beine kommen wollte.
Drieu La Rochelle wurde in einer katholischen Knabenschule erzogen, fühlte sich dort aber nicht wohl und wurde schon mit 14 Atheist. Sein Denken war früh eine Mischung aus Widerstandsgeist und Größenphantasie, wodurch er später sowohl linke als auch rechte Ideologeme darin aufnahm. Ein frühes Vorbild von ihm war Friedrich Nietzsche.
Drieu war intelligent und an Bildung und der Welt interessiert, aber auch sprunghaft und unstet. Es gab gerade für sensible Menschen damals eine klar spürbare Spannung zwischen der Welt der Schule mit ihrer Verankerung in der Antike und im christlichen Glauben und der Realität der materialistisch-ökonomistischen Moderne.

Nach Abschluss der Schule begann er ein Jurastudium, fiel aber bei einer wichtigen Prüfung durch.

Eine vermeintliche "Rettung" war - ähnlich wie bei dem etwas jüngeren schulmüden Deutschen Ernst Jünger - der Erste Weltkrieg. Drieu diente freiwillig in der Infanterie und der Artillerie. Er kämpfte dabei auch an besonders "heißen" Schlachtorten, z. B. in Verdun und bei den Dardanellen.
Drieu sagte, dass er den deutschen Feind nicht hasse, sich ihm aber entgegenstelle. Zum Kriegsende war er Adjutant und empfand das Ende der Kämpfe als Leere. Damit war er in seiner Generation nicht alleine.
Seine Kriegserlebnisse verarbeitete er bereits literarisch, und zwar mit nationalistischen und z. T. schon satirischen Einschlägen. Berühmt sind seine Werke "Comédie de Charleroi" und "Gilles" (Die Unzulänglichen). Drieu war in der Lage, das menschliche Verhalten genau zu beobachten.

Danach arbeitete Drieu für die Literaturzeitschrift Nouvelle Revue Francaise (NRF) von André Gide. Zu seinem Freundeskreis gehörten führende Schriftsteller der Zeit, darunter André Malraux, Louis Aragon und Antoine de Saint-Exupéry. Drieu war durch Familienbesitz und Heirat finanziell unabhängig.
Von 1917 - 1925 war er mit der Jüdin Colette Jéramec verheiratet. Später sollte er sie und ihre Kinder vor der Naziverfolgung retten. Drieu hatte danach viele weitere Affären, u. a. mit Victoria Ocampo und Christiane Renault (Ehefrau von Louis Renault).
Drieu kritisierte in seinen Werken gerne die angebliche Dekadenz der französischen Oberschicht. Ein wichtiges Werk - das auch Elemente aus Drieus Leben enthält - ist "Le feu follet" (Das Irrlicht). Hierin setzt er sich mit dem Selbstmord seines engen Freundes Jacques Rigaut auseinander. Dieses Werk gilt sowohl in der Form als Kurzroman von 1931 als auch als Film von 1963 als Meisterwerk. Bei der Verfilmung hat Louis Malle allerdings einige Änderungen vorgenommen, z. B. die Zeit der Handlung und das Alter des Hauptakteurs nach hinten verschoben. Es existieren noch weitere Adaptionen des Werkes, das sich intensiv mit den Themen Verzweiflung und Scheitern auseinandersetzt.


Als das direkte Nachwirken des Weltkrieges schwächer wurde, suchte Drieu einen neuen Kurs und neue Ziele. Hier verhielt er sich aber wieder unstet. Er war zuerst Mitglied des konservativ-antiparlamentarischen Redressement Francais und dann in den frühen 30er-Jahren im Parti radical.
Ab 1934, also ein Jahr nach Hitlers Machtübernahme, wurde er dann zunehmend faschistisch. 1936 trat er dem faschistoiden Parti Populaire Francais (PPF) des ehemaligen Kommunisten Jacques Doriot bei.

Diese Gesinnungsänderung zeigt sich auch im literarischen Schaffen Drieus. Ein gutes Beispiel ist der Roman "Rêveuse bourgeoisie" (Verträumtes Bürgertum), dessen erster Teil schon 1936 in der NRF erschien. Dieses Werk enthält viele autobiographische Inhalte, so z. B. die zerrüttete Ehe seiner Eltern. Es beschreibt den Niedergang einer Familie der französischen (oberen) Mittelklasse im frühen 20. Jhd. über 3 Generationen.
Das Werk entstand zwar in einer Politisierungsphase des Autors, ist aber in sich nicht sehr politisch, mit Ausnahme einiger Aussagen am Ende des Werkes. Das Gesamtwerk erschien 1937 bei Éditions Gallimard.

Besonders problematisch bei Drieu ist aber seine Entwicklung in den späten 30er-Jahren und seine Haltung während der deutschen Besatzungszeit 1940. Die militärische Niederlage Frankreichs 1940 erfolgte in wenigen Wochen, nachdem man vorher noch von einem Patt der Kräfte ausgegangen war.
Dafür wurden in der nachträglichen Analyse der Westalliierten einmal schwere Planungsfehler in Militär und Politik in Frankreich verantwortlich gemacht, sowie andererseits eine innere Zerrüttung des Landes zwischen Demokraten, Links- und Rechtsextremen einschließlich einer allgemeinen Ziel- und Motivationslosigkeit, die damals noch mit Dekadenz umschrieben wurde. Als im Vorfeld des deutschen Aufmarsches an der Grenze, der nur z. T. militärisch aufgeklärt werden konnte, sich endlich britische, französische und belgische Einheiten auf ein halbwegs koordiniertes Abwehrkonzept einigen konnten und Gebiete Nordfrankreichs zur militärischen Sperrzone erklärt worden waren, beschwerten sich einige Reporter, dass ihre journalistische Arbeit bei der Tour de France behindert werde.
Es herrschte offenbar überhaupt kein Bewusstsein dafür, dass man kurz vor dem Überrannt-Werden stand. Und das, obwohl die schnelle militärische Niederlage Polens, dem die Westalliierten nicht zu Hilfe gekommen waren, gerade erfolgt war. Noch als Hitler Frankreich den Krieg erklärt hatte, glaubten viele in Paris, jetzt habe er einen strategischen Fehler begangen.

Drieu dagegen hatte schon vor 1940 phantasiert, dass ein militärischer Sieg der Deutschen positive Effekte haben könne. Dementsprechend kollaborierte er danach offen mit dem Vichy-Regime. Man muss allerdings sagen, dass er damit bei weitem nicht alleine war, denn viele "Widerstandsbiographien" wurden erst ab Kriegsende zusammengefälscht.
Drieu wollte aber, obwohl er Antisemit war, keinen Sieg des deutschen Nationalismus oder einer Germanenideologie. Er sehnte eher einen europäischen Sozialismus herbei, der den Kontinent retten könne. Und zwar sowohl vor innerer Instabilität an sich wie auch vor Instabilität angesichts der (perzipierten) Bedrohung aus dem Westen, den USA und dem Osten, der Sowjetunion unter Stalin. Dabei war er klar antikommunistisch.
Drieu wurde von den Nazis akzeptiert, ja galt geradezu als einer der Wortführer der Kollaboration. Er gründete im Dezember 1940 die im Juni eingestellte NRF neu und erhielt dabei Hilfe von Gerhard Heller (der später fünf seiner Werke ins Deutsche übersetzte). Drieu war der neue Chefredakteur bis zur Einstellung der Zeitschrift im Juli 1943.

Im 1944/45 entstandenen und erst später bekannt gewordenen "Récit secret" (Geheimer Bericht) korrigierte Drieu einige seiner politischen Einstellungen. Er war von Hitlers Politik enttäuscht und betrachtete den Faschismus jetzt als Irrweg. Allerdings konnte er sich nicht zu einer Begeisterung für die parlamentarische Demokratie durchringen, sondern blickte jetzt gen Osten. Politisch ist seine erneute Hinwendung zum roten Denken in gewisser Hinsicht eine Rückbesinnung. Hatte er vorher den Faschismus noch als politische Bewegung der erneuerungswilligen europäischen Jugend nach 1918 bezeichnet, so erhoffte er jetzt den Sieg des Kommunismus.

Am 16. März 1945 beging La Rochelle Selbstmord durch Gift und Gas. Das war nicht sein erster Versuch. Er befand sich aufgrund der deutlichen und nicht mehr zu verbergenden Kollaboration auf verlorenem Posten. Ihm drohten angesichts des Vorrückens der Westalliierten in Frankreich Verhaftung und das Todesurteil. Gerade in der frühen Nachkriegszeit wurde bei den Säuberungen ("épurations") nicht lange gefackelt. Man muss bei genauer Betrachtung aber sagen, dass viele Säuberer selber erst in letzter Minute auf die Seite der Siegreichen gewechselt waren. Auch Schriftsteller, die später als große Wiederständler und Helden der Linken galten, wie Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Marguerite Durras, hatten sich in Wirklichkeit vorher nicht als große Widerstandshelden hervorgetan.

Drieu dagegen war in der Nachkriegszeit in Frankreich eine persona non grata. Trotzdem gab es von einigen Akteuren immer wieder Versuche, Teile seines Werkes zu rehabilitieren. Louis Malle verfilmte z. B. 1963 das Werk "Le feu follet". In rechten Kreisen war er sowieso nie ganz abgeschrieben.
Stärkere Schritte zur Rehabilitierung erfolgten aber erst nach der Jahrtausendwende. Im Jahre 2012 wurde er mit einer Teilausgabe sogar in die "Bibliothèque de la Pléiade" aufgenommen.


WERKE:

Interrogation. 1917.
Mesure de la France. 1922.
L’Homme couvert de femmes. 1925. Deutsch: Der Frauenmann. Übersetzt von Gerhard Heller. Ullstein, Frankfurt am Main 1972.
Le Jeune Européen. 1927.
Le feu follet. 1931. Deutsch: Das Irrlicht. Übersetzt von Gerhard Heller. Propyläen, Berlin 1968.
La Comédie de Charleroi. 1934. Deutsch: Die Komödie von Charleroi Übersetzt von Andrea Spingler und Eva Moldenhauer. Manesse Verlag, München 2016.
Socialisme fasciste. 1934.
Rêveuse bourgoisie. 1937. Deutsch: Verträumte Bourgeoisie. Übersetzt von Gerhard Heller. Ullstein, Frankfurt am Main 1969.
Gilles. 1939. Deutsch: Die Unzulänglichen. Übersetzt von Gerhard Heller. Propyläen, Berlin 1966.
Notes pour comprendre le siècle. 1941.
Im Invalidendom.
In: Axel von Freytagh-Loringhoven, Joachim Moras (Hrsg.): Europäische Revue. 17. Jg. 1941, Heft 3. DVA, Stuttgart, Berlin.
L’Homme à cheval. 1943. Deutsch: Der bolivianischer Traum. Übersetzt von Friedrich Griese 
Les Chiens de paille. 1944, erschienen 1964.
Mémoires de Dirk Raspe. 1944/1945, erschienen 1966. Deutsch: Die Memoiren des Dirk Raspe. Übersetzt von Gerhard Heller. Ullstein, Frankfurt am Main 1972.
Récit secret. 1944/1945, erschienen 1951. Deutsch: Geheimer Bericht. 
Textes politiques 1919–1945. Présentation de Julien Hervier, Paris 2009.
Lettres d’un amour dèfunt – Correspondance 1929–1944. Pierre Drieu La Rochelle/Victoria Ocampo, Paris 2009.
Romans, récits, nouvelles. Edition publiée sous la direction de Jean-Francois Louette, Bibliothèque de la Pléiade, Gallimard, Paris, 2012.


QUELLEN:

Wikipedia
Meyers Großes Taschen-Lexikon
Drieu La Rochelle: Zerstörung im Auge (Der Spiegel, 46/66)
P. Drieu La Rochelle: Für diesen Dichter war der Faschismus sexy (Welt, 13.05.16)





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