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Sonntag, 31. Dezember 2017

SCHMIDT, HELMUT

Helmut Schmidt


* 1918
+ 2015

Helmut Schmidt war ein deutscher Politiker, der verschiedene Leitungsposten in Hamburg, als Bundesminister und als Bundeskanzler bekleidete. Später ging er zur Wochenzeitung DIE ZEIT.


JUGEND

Helmut Schmidt wurde 1918 in Hamburg geboren. Seine Familie litt wie viele unter der Nachkriegsarmut. Schmidts Vater war unehelich geboren und arbeitete sich als Lehrer nach oben. Dadurch war er diszipliniert, aber auch innerlich verhärmt.

Helmut Schmidt wurde von seinen Eltern auf eine gute Schule geschickt, in der neben den etablierten Fächern auch Wert auf Sport, Musik und Kunst gelegt wurde. Schmidt musste Klavier lernen.
In der Schule lernte er bereits seine spätere Frau Hannelore (Loki) kennen. Sie erledigte für ihn manchmal die Hausaufgaben, wenn er "faul" war.

Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, trat er gerne in die Hitlerjugend ein. Für ihn war das eine Abwechslung vom stressigen Elternhaus und vom Schulalltag. Hier konnte er Abenteuer erleben. Die politischen Risiken sah er nicht.
Schmidts Vater war zunächst skeptisch, weil auch in seiner Familie jüdische Vorfahren existierten.

Helmut Schmidts Schule kippte auch in Richtung Nationalsozialismus. Er leugnete dies zwar später, aber Photos aus der Zeit sprechen eine andere Sprache: "Ein Volk - ein Reich - ein Führer."


KARRIERE IM NATIONALSOZIALISMUS

Nach der Schule leistete Helmut Schmidt seinen Reichsarbeitsdient ab. Danach ging er zur Luftwaffe und wurde Offizier.
In einer Rechtfertigung gegenüber ZEIT-Herausgeber Sommer sagte er einmal, dass er begeistert war, wenn er damals auf Boulevards schneidige Wehrmachtsoffiziere sah, die links und rechts eine "Puppe" im Arm hatten.
Im Krieg wurde Helmut Schmidt unter anderem an der Ostfront eingesetzt, wo die Kämpfe besonders brutal waren. Danach war Schmidt in Hermann Görings Reichsluftfahrtministerium in Berlin tätig. Da er aber auch nah an der Front dienen wollte, wurde er nach der Landung der Westalliierten in der Normandie an die Westfront nach Frankreich versetzt. Hier wurde er sogar von der Front überrollt und lief zu Fuß hinter der Front zurück ins Reich.

Später sollte Schmidt behaupten, in seiner Einheit habe es keine überzeugten Nazis gegeben. Die Aufzeichnungen über seine politische Zuverlässigkeit sprechen schon bei ihm eine andere Sprache.


KARRIERE IN DER NACHKRIEGSZEIT

Nach dem Krieg machte er sich Gedanken, was politisch und beruflich werden sollte. Da einige Männer seiner Einheit vor 1933 eine Nähe zur SPD hatten, glaubte er, dass von dort aus neue Impulse für das Nachkriegsdeutschland kommen könnten.
Beruflich entschied er sich für ein Studium der Nationalökonomie, wobei ihm seine Frau finanziell helf, die zuerst Biologie studieren wollte und dann Lehramt/Grundschule studierte.

Helmut Schmidt machte nach seinem Wirtschaftsstudium und mit seiner frechen Schnauze schnell in der Politik Karriere.
Politisch war er nicht immer so gradlinig, wie er es später als Verfechter traditioneller Tugenden verkaufte. Während er im Krieg noch überzeugter Nationalsozialist war, machte er nun Karriere beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der links von der Mutterpartei SPD stand und 1961 sogar von dieser abgespalten wurde. Allerdings war der SDS noch nicht ganz so radikal wie zur 68er-Zeit. Helmut Schmidt bewegte sich politisch also deutlich nach links, vergaß aber nicht, in diversen Reden ehemalige Angehörige der Wehrmacht und der Waffen-SS ins Boot zu holen.
Das klingt heute vielleicht erstaunlich, aber die SPD galt als "arbeitnehmerfreundliche Partei" und war daher bei Weltkriegsveteranen recht beliebt. Außerdem hatte die Nachkriegs-SPD noch keine Gebietsabtretungen beschlossen (gemessen an den Grenzen von 1937), was viele Veteranen abgeschreckt hätte.

Helmut Schmidts Bundeskarriere erhielt einen Knick und er ging wieder nach Hamburg zurück. Er verkaufte das als Liebe zu seiner Heimatstadt, aber in Wahrheit waren eher Streitereien mit aus seiner Sicht eigenwilligen Vorgesetzten der Grund.
Hier gelang Schmidt aus Sicht vieler späterer Betrachter ein Husarenstück:
Mitten in der Sturmflut, in der die Deiche überschwemmt wurden und sogar brachen, übernahm er die zivile Führung und orderte sogar militärisches Material und Hubschrauber herbei, obwohl er dazu gar nicht die Kompetenz hatte.
Dieses Kapital kann aber auch kritisch gesehen werden: Zum einen hat er seine eigene Rolle überschätzt und die der "chaotischen" anderen Akteure unterschätzt, zum anderen sollte man auch bedenken, dass Schleswig-Holstein und Niedersachen viel weniger Flutprobleme hatten, weil sie die Deiche vorher vorausschauend modernisiert hatten. Man merkte nämlich erst mit der Zeit, dass Deiche auf ihrer Wasserseite nur einen sehr geringen Steigungswinkel bei gleichzeitig großer Grundfläche haben dürfen, um wirksam gegen überschwappende Wellen Schutz zu bieten, die sonst den Deich auf seiner Rückseite zerstören könnten.
Ein weiterer Punkt, den man an Schmidts Hamburger Zeit kritisieren kann, ist der, dass er die schon recht weit entwickelte Organisierte Kriminalität leugnete und damit ihre Bekämpfung weiter erschwerte. Der Grund dafür ist unbekannt. Auf jeden Fall starben durch die OK viele Menschen.


BUNDESMINISTER UND BUNDESKANZLER

1969 ging Schmidt als Minister in die Bundesregierung. Die Ampel stand auf Wechsel zu Rot-Gelb, also SPD und FDP.
Willy Brandt wurde der erste sozialdemokratische Bundeskanzler der Nachkriegszeit.
Schmidt bekleidete viele Ministerposten. Schmidt war u. a. Verteidigungsminister und erhöhte den Verteidigungsetat drastisch, während er ansonsten vor einem überbordenden Staat warnte.
Außerdem war er als Minister oft respektlos gegenüber dem Kanzler, was er später als Kanzler nicht duldete.
Nach dem Sturz Willy Brandts durch die Guillaume-Spionageaffäre und gesundheitliche Beeinträchtigungen wurde Helmut Schmidt Bundeskanzler.
Schmidt warf Brandt vor - wenn auch nicht unbedingt öffentlich - dass er zwar ein guter Symbolpolitiker, aber ein schlechter Macher sei. Führungsfehler der vergangenen Jahre und die Ölkriese in Folge des Yom-Kippur-Krieges 1973 mussten jetzt ausgeglichen werden.
Schmidt galt zwar als Macher, war aber nicht unbedingt beliebt (worunter er litt).
Hinzu kam ab ca. 1970, dass sich aus enttäuschten Gruppen der 68er-Bewegungen ein radikaler Kampfgeist gegen die Bundesrepublik als Gesamtsystem entwickelt hatte.
Dafür steht vor allem die "Rote Armee Fraktion" (RAF), aber in den Anfangsjahren auch die "Bewegung 2. Juni" und später die "Revolutionären Zellen" (RZ) und ihre feministische Abspaltung "Rote Zora", die eher dezentral organisiert war und bei der die meisten Mitglieder nicht in den Untergrund gingen, sondern sich neben ihrem bürgerlichen Beruf noch als "Feierabendterroristen" betätigten.
Die Rot-Gelbe Bundesregierung hatte nun die schwere Aufgabe, diese terroristischen Strukturen zu bekämpfen, die zumindest in den frühen Jahren noch auf eine erhebliche Sympathie in linken Jugend- und Kulturkreisen setzen konnten. Die Bekämpfung v. a. der RAF setzte sich noch über die 1980er und bis in die frühen 1990er-Jahre fort.

Besonders problematisch war dabei 1975 die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz. Dieser hatte seine Angst vor der linken Szene offen zum Ausdruck gebracht und wurde dafür von Schmidt verhöhnt. Als er dann von Linken entführt wurde, wer Schmidt kompromittiert. Die Politik gab den Entführern nach und ließ linke Terroristen (aus eigener Sicht Guerilleros) frei.

Bei der Entführung von Hanns-Martin-Schleyer im Jahre 1977 blieb Helmut Schmidt dagegen hart, obwohl beide befreundet waren. 1977 war aus Sicht der RAF das Jahr einer Großoffensive.
Weil es der RAF nicht gelang, durch die Schleyer-Entführung linke Kader wie Andreas Baader und Gudrun Ensslin aus der Haft freizupressen, erhöhte man den Druck, indem marxistische Palästinenser der PFLP das Flugzeug "Landshut" entführten, um auf den deutschen Staat zusätzlichen Druck auszuüben.
Der westdeutsche Staat verfügte inzwischen aber - anders als beim Olympaattentat 1972 in München - mit der GSG 9 über eine gut ausgebildete Anti-Terror-Truppe, stürmte die in Mogadischu (Somalia) gelandete Maschine und erschoss alle Entführer bis auf eine Frau. Die Geiseln überlebten alle.

Helmut Schmidt versuchte neben der Bekämpfung dieser innenpolitischen Probleme, wobei der Terrorismus inzwischen immer mehr global vernetzt auftrat, die außenpolitische Vernetzung Westdeutschlands zu verbessern. Gute Beziehungen knüpfte er zu den USA, obwohl er mit Gerald Ford besser auskam als mit dem "moralisierenden" Jimmy Carter, nach Frankreich zu Valery Giscard d'Estaing, und zu britischen Premierministern.

Am Ende wurde jedoch seine Regierung instabil, weil seine eigenen Parteilinke, insbesondere die Jusos, immer mehr auf Abstand ging und die FDP wieder zu fremdeln drohte.
Ein Kernproblem war dabei sein "Ja" zur Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen (Pershing II) und Cruise Missiles, die er als notwendiges Gegengewicht zu den sowjetischen SS-20 sah, während die anderen das für eine Überreaktion hielten oder sogar generell alles Militärische ablehnten.
Interessant ist, dass viele der damals ultralinken Jusos (z. B. Gerhard Schröder) später nach der "linken" Regierungsübernehme durch Rot-Grün 1998 viel härtere Sozialkürzungen durchführten, als es Schmidt vorgeschwebt hatte.

Im Jahre 1982 zerbrach Helmut Schmidts Regierungskoalition und Helmut Kohl wurde neuer Bundeskanzler. In der Frage der Nachrüstung zog dieser aber Schmidts Linie durch. Die SPD-Linke hatte so nichts gewonnen. Es zeigte sich aber auch, dass Schmidt wie sehr viele Politiker und Analysten Helmut Kohl massiv unterschätzt haben. Schon in seiner Kanzlerschaft hat er mehrfach versucht, Kohl vorzuführen, z. B. ihn zu einem Pressetermin einzuladen und dann nicht zu erscheinen, um Kohl vor den ihm meist nicht wohlgesonnenen Reportern zu blamieren.
Kohl nahm ihm das sehr übel und sann auf Rache.

Helmut Schmidt selber wurde Angst und Bange, dass er nun den ganzen Tag frei haben sollte. Er knüpfte Kontakte in die Medienwelt und ging als Herausgeber zur Wochenzeitung "DIE ZEIT".
DIE ZEIT hatte selber politisch einige Kehrtwenden durchgemacht. Ursprünglich war sie unter Bucerius und anderen noch relativ weit rechts verortet, entwickelte sich dann aber mit den Moden der Zeit nach links. Ein gutes Beispiel hierfür ist Marion Gräfin Dönhoff, die zunächst als Preußin für eine harte Politik gegenüber Polen eintrat, sich dann aber für Willy Brandt starkmachte und mit dem Zeitgeist mitschwamm. In der Nationalsozialistin will sie als "Rote Gräfin" Kontakte zum Widerstand gehabt haben, was aber von vielen Historikern bezweifelt wird.

Helmut Schmidt galt in den folgenden Jahren bis zu seinem Tod als universell gebildeter Schriftsteller und Elder Statesman. Seine Lebenserfahrung wurde in vielen Interviews abgefragt.
2015 starb er dann mit 96 Jahren, sprach aber vor seinem Tod in Interviews noch über aus seiner Sicht sehr moderne Dinge wie Twitter.


KRITIK AN HELMUT SCHMIDT

Wir haben bereits angedeutet, dass es neben viel Lob auch einige Menge Kritik an Schmidt gab:
  • Schmidt war in das NS-System viel tiefer verwickelt, als er es zugegeben hat
    (da war er aber nicht der einzige)
  • Schmidt hat immer wieder seine lange Ehe gelobt, obwohl er viele weitere Beziehungen hatte
  • Schmidt hat sich bei der Flutkatastrophe von Hamburg als Macher inszeniert (auch zu Lasten anderer Akteure), ohne zu erwähnen, dass Hamburger vorher seine Deiche nicht modernisiert hatte
  • Schmidt hat in seiner Hamburger Zeit die schon weit vorangeschrittene Organisierte Kriminalität geleugnet, was deren Bekämpfung weiter verzögert hat und viele Menschen das Leben kostete
  • Schmidts Verhältnis zu Mitarbeiterinnen wird heute kritisch gesehen
  • Schmidts Regierung war nicht so stabil, wie er es darstellte
  • Schmidt kritisierte die deutsche Staatswillkür und den Bürokratismus, baute aber als Minister sein Budget deutlich aus (bes. als Verteidigungsminister)
  • Schmidt unterschätzte - wie viele - Helmut Kohl
  • Schmidt hat nach dem Ende seiner Kanzlerschaft die Akten einfach in sein Privathaus mitgenommen, wo sie gar nicht professionell gelagert werden konnten und er sie noch manipulieren konnte
  • Schmidt galt als Kulturalist und zog jahrtausendealte Zivilisationen der "modernen, europäischen" Idee der Menschenrechte vor


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